Warum wählen? Die Europawahlen 2014

Die Europawahlen haben begonnen, aber so manch ein potentieller Wähler kann sein Gähnen nicht unterdrücken. Dabei stehen viele drängende Themen und Probleme auf der europäischen Agenda: Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist noch nicht nachhaltig aufgearbeitet oder überwunden, die Jugendarbeitslosigkeit – vor allem in Südeuropa – ist nach wie vor erschreckend hoch, außenpolitisch hat man bislang keine (gute) Antwort auf die Ukraine-Krise gefunden, zudem bewegen die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) zunehmend die Gemüter. Doch all dies scheint die breite Masse der europäischen Bürger nicht wirklich zu interessieren und an die Wahlurnen zu treiben. Ein Rückgang der ohnehin schon niedrigen Wahlbeteiligung und ein gleichzeitiger Stimmenzugewinn europa- bzw. EU-skeptischer Parteien wird erwartet (in der Niederlande, wo bereits gewählt wird, zeichnet sich derzeit eine geringe Wahlbeteiligung ab). Und das obwohl der Aufwand, der für die Mobilisierung der Wähler betrieben wurde, in diesem Jahr beachtlich war: Neben den üblichen Wahlplakaten, Werbespots und Wahlkampftrupps, wurde in der Tages- und Wochenpresse und auf diversen Seiten im Internet der Europawahlkampf begleitet und die Bedeutung der Wahlen betont. Unschlüssige konnten wieder den Wahl-O-Mat zu Rate ziehen. Zudem gab es gleich mehrere TV-Veranstaltungen, die den SpitzenkandidatInnen der verschiedenen Fraktionen des Europäischen Parlaments die Möglichkeit bot, ihre Positionen deutlich zu machen und voneinander abzugrenzen. Die Spitzenkandidaten der beiden größten Fraktionen, Jean-Claude Juncker (Europäische Volkspartei, EVP) und Martin Schulz (Partei der Europäischen Sozialisten, PES) traten hierzulande gleich in zwei Duellen zur besten Sendezeit gegeneinander an. Von der Zuspitzung auf ein solches Duell erhofften sich viele einen Politisierungsschub des Wahlkampfs. Doch die Einschaltquoten waren ernüchternd.
Warum mangelt es an Interesse für europäische Politik und insbesondere für die Wahlen zum Europäischen Parlament?

Im Hinblick auf das TV-Duell zwischen Juncker und Schulz konstatiert Eric Bonse auf Lost in EUrope, dass die beiden Kontrahenten einfach zu häufig einer Meinung gewesen seien. Anstatt die Konfliktlinien zu markieren und prägnant herauszuarbeiten, hätten Juncker und Schulz etwa das Thema der (Jugend-) Arbeitslosigkeit allzu vorsichtig angepackt. Streit sei so kaum aufgekommen, doch gerade Dissens und das Aufzeigen von echten bzw. gangbaren Alternativen wären nötig, um die Wähler zu mobilisieren.

Auch Johan Schloemann kritisiert auf dem Europawahl-Blog der Süddeutschen Zeitung, dass es bei dem TV-Duell zwischen Juncker und Schulz zu wenig zu einem echten Streitgespräch gekommen sei und dass die ganze Veranstaltung überdies viel zu vorhersehbar gewesen sei. Damit sei man weder der altehrwürdigen europäischen Debattenkultur gerecht geworden, noch dem amerikanischen Vorbild des Town Hall Meetings. Dass die Zuschauer des Duells zudem den Eindruck gewinnen mussten, dass die Umsetzung der recht kargen europäischen Zukunftsvisionen der beiden Kandidaten höchst ungewiss und undurchschaubar sei, wertet Schloemann als ein schlechtes Zeichen. Europa erscheine so wesentlich schwächer und machtloser, als es in Wirklichkeit sei.

Hans-Martin Tillack zieht aus der Zuspitzung des Wahlkampfs auf Juncker und Schulz für sich den Schluss, erst gar nicht zur Europawahl zu gehen. Auf einem Blog des Sterns stellt Tillack fest, dass beide Kandidaten für ihn nicht wählbar seien. Nicht nur seien sie nahezu ununterscheidbar in ihren Positionen, sie stünden auch für ein altes, verkrustetes, nur mäßig demokratisches Europa, das es zu überwinden gelte. Da doch nur Juncker oder Schulz realistische Siegchancen hätten, will Tillack der Wahlkabine fernbleiben und setzt seine Hoffnung stattdessen auf die nächsten Europawahlen im Jahr 2019.

Das Bild, das die EU vor ihren BürgerInnen abgebe, beschreibt Jörg Wellbrock auf Der Spiegelfechter, als ein einigermaßen trostloses. Das zu wählende Europäische Parlament sei immer noch in vielerlei Hinsicht äußerst limitiert in seinen Möglichkeiten. In Fragen der Gesetzgebung, des Haushalts oder beim Personal, sei es ebenso beschränkt, wie bei der Außen- und Sicherheitspolitik. Warum dann überhaupt wählen gehen, wenn das Parlament doch kaum Befugnisse hat? Wellbrock kommt zu dem Schluss, dass man auch dann den – erwartet starken – rechten und europaskeptischen Parteien das Feld nicht überlassen dürfe, wenn das Parlament nur beschränkte Möglichkeiten habe. Denn wie dies in der Zukunft aussehe, sei ja wieder eine ganz andere Frage.

Patrick Schreiner sieht in den möglichen massiven Zugewinnen rechtspopulistischer und europaskeptischer Parteien ein fatales Zeichen für Europa. Dem gelte es etwas entgegenzusetzen, auch an der Wahlurne. Auf der Seite annotazioni.de führt er gleich mehrere Gründe an, warum man zur Europawahl gehen sollte. So verweist er darauf, dass das Europäische Parlament in der Vergangenheit durchaus auch Erfolge zu verzeichnen gehabt hätte und sich auch gegen die europäischen Regierungschefs und die Europäische Kommission durchsetzen konnte. Europa bräuchte eben (noch) mehr Demokratie und da das Europäische Parlament die einzige demokratisch legitimierte Instanz der EU sei, müsse man diese stärken, auch wenn Schreiner eine Veränderung der internen Mehrheiten, hin zu einer deutlichen Abschwächung marktradikaler Positionen, als dringend wünschenswert erachtet.

Wahlen sind ein paradoxes Thema. Die einen streiten vehement für das Recht wählen zu dürfen, eine zunehmende Zahl derjenigen, die das Recht haben, sehen Wahlen als nutzlos an und verzichten auf ihr Recht. Politik- und Wahlverdrossenheit ist wahrlich kein neues Phänomen, auf der europäischen Ebene aber scheinbar besonders virulent. Zu kompliziert erscheinen hier die Zusammenhänge, zu undurchschaubar die Verantwortlichkeiten, zu schwach ausgeprägt das demokratische Element. Ob der Verzicht zur Wahl zu gehen hier weiterhilft, muss in jedem Fall in Frage gestellt werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die EU-BürgerInnen entscheiden werden.